Alle wollen nur mein Bestes…

( 47. KW – 17. bis 23. November 2014)

Nächste Woche habe ich Geburtstag. Aber schon jetzt bin ich tief gerührt, wer alles an mich denkt und Gutes für mich tun möchte. Weltbild hat sich „eine große Überraschung überlegt“ – nur für mich. Mein persönliches Lotto, von Faber komplett organisiert, wie mir versichert wird. Man drückt mir beide Daumen und im PS werde ich noch einmal darauf hingewiesen: „Das ist großartig!“ Ich muss beinahe weinen… Auch Payback lässt sich nicht lumpen und schenkt mir Geburtstags-Coupons, selbstverständlich persönlich für mich zusammengestellt. Ich sehe die Mitarbeiterin vor mir, wie sie überlegt: Der Frank Gerstmann aus Brandenburg, womit machen wir ihm zum Geburtstag die größte Freude? Und dann sucht sie liebevoll die richtigen Coupons zusammen: 5fach Punkte in der Linda Apotheke und 10fach bei WMF. Ich bin begeistert.  Wer wird mich noch alles beglücken? Otto, bonprix und Amazon? Meine Versicherung und der Autohändler? Und alle wollen nur mein Bestes! Mein Geld.

Im Zug nach Potsdam kreisen die Gedanken. Oder genauer gesagt – sie kreisen nicht, denn da müsste ein Punkt, ein Thema sein, um das sie kreisen. Aber ohne so einen Bezug müsste ich also eher von wuseln oder so schreiben. Okay, sie wuseln also. Themen gibt’s genug, das Mädchen gegenüber hat so unglaublich lange, aufgeklebte Fingernägel, dass ich mich frage, wie sie es überhaupt schafft, einen Text in das unvermeidliche Handy zu hacken, auf das sie glotzt, und das noch mit dieser Geschwindigkeit. Ich schaue schnell weg, sonst glaubt sie noch, ich finde diese kitschigen blauschwarzen, mit Goldglimmer zusätzlich verunstalteten Riesenspatel irgendwie schön. Brrrr. Naja, die junge Frau daneben mit ihrem Nasenring ist auch nicht gerade ein Blickfang. In meinem Kopfkino spielen sich dann immer zwei Szenen ab und wetteifern um Dominanz: zum Einen habe ich eine Metallkette mit einem Karabinerhaken in der Hand, raste diesen gekonnt in den Nasenring ein und ziehe die Kuh hinter mir her. Bei der zweiten Szene frage ich mich jedes Mal: Wie schnaubt man eigentlich mit so einem Teil da vorne dran? Bleibt da nichts hängen?
Spätestens bei den nun folgenden Bildern entscheide ich mich für die erste Szene und sehe, wie die Kuh – doof aber glücklich – hinter mir hertrottet, an ihrem Nasenring durchs Dorf Richtung Weide gezogen. Ich bin der Bauer und habe nächste Woche Geburtstag…

Ich schrecke hoch, die Fahrt nach Potsdam ist so kurz, dass man kaum zum Tagträumen kommt, schade eigentlich. In der Wirklichkeit geht es um viel wichtigere Informationen als Fingernägel und Nasenringe. Die Tageszeitung klärt mich auf: Lodder hat zum fünften Mal geheiratet. Das ist schön und Herr Matthäus ist sich sicher: Diesmal ist es die Richtige. Ich bin mir nicht sicher. Klitschko hat seinen bulgarischen Herausforderer krankenhausreif geprügelt. Manche Leute nennen das Sport. Ziemlich viele sogar. Kanzlerin Merkel fühlt sich im Stich gelassen, sie hat mein Bedauern auf ihrer Seite. Kurz vor dem Aussteigen endlich die Nachricht, auf die ich irgendwie die ganze Zeit vorbereitet wurde: „Scheidentrockenheit…“, steht da auf Seite 5 (Politik) „beeinträchtigt das Sexualleben“. Aha, ich hätte es ahnen können. Nun kann ich gut informiert meinem Tagesgeschäft in Potsdam nachgehen. Und auf dem Rückweg werde ich mich informieren, was man dagegen tun kann. Steht sicher auch in der Zeitung, denn alle wollen, dass ich gut informiert bin. Alle wollen nur mein Bestes.